Laura

von Eva-Maria Farohi

Obwohl die Sonne erst vor einer knappen halben Stunde aufgegangen war, wärmten ihre Strahlen ziemlich kräftig. Die Luft, von der letzten Nacht kaum abgekühlt, ließ bereits die Schwüle des kommenden Tages erahnen.
Laura öffnete die Heckklappe ihres Wagens und griff nach der Leine, die sie am Halsband des Hundes zu befestigen suchte, was ihr erst nach dem dritten Versuch gelang.
„Hopp“, sagte sie und griff zwischen seinen Vorderbeinen hindurch, um den Aufprall des Sprunges abzumildern.
Monroe sprang sofort aus dem Kofferraum, fast noch um eine Spur schneller, als Laura seinen Namen hatte aussprechen können. Hechelnd stand er dann auf dem ausgedorrten Rasenstück, das nur an den vertrockneten Halmen als solches zu erkennen war. Seine Flanken zitterten, und die Zunge hing seitlich aus dem geöffneten Maul – nicht nur wegen der hochsommerlichen Temperaturen. Der ganze Körper verriet seine innere Erregung.
Kurz nur schüttelte er sich und blickte erwartungsvoll zu Laura hoch, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder dem nahen Meer zuwandte, dessen ständiges Rauschen hier deutlich zu hören war. Er war ein mittelgroßer Mischling, nicht allzu hoch, mit schwarz-weißem Kurzhaarfell, dünnen Beinen und Hängeohren.
Automatisch strich sich jetzt Laura mit der freien Hand eine Strähne ihres dunklen Haares aus dem Gesicht. Dann schloss sie eilig den Wagen ab, der da und dort bereits einige Roststellen aufwies. Dann gab sie der Leine etwas mehr Spielraum und ging zügig auf die Steinmauer zu, die das weite Naturschutzgebiet säumte.
Wieder sagte sie „hopp“, und Monroe war längst oben auf der Mauer, noch bevor Laura über die drei Steine zu klettern begann, die als Aufstiegshilfe dienten.
Der Hund wartete, bis sie auf der anderen Seite herunterkam, um ihm beim Absprung abermals zu helfen. „Hör auf zu ziehen, wir kommen schon noch rechtzeitig“, sagte sie, doch ihre Augen verrieten ebenso wie ihre Stimme, dass der Befehl nicht wirklich ernst gemeint war.
Mit straff gespannter Leine lief Monroe zielstrebig über den sandigen Boden voran. Am linken Rand fielen hier die Klippen steil ab, und man konnte das Meer sehen.
Doch Monroe sah es offensichtlich nicht nur. Er schien es zu hören, zu riechen, sogar zu schmecken, und seine hochgezogenen Lefzen ließen ihn aussehen, als würde er lachen.
Er zog jetzt noch stärker, und Laura hatte Mühe, das Tempo zu halten, das er vorgab.
Gleich darauf waren sie bei dem Feigenbaum angelangt, der in einer tiefen Mulde wuchs, in der sich früher einmal ein kleines Haus oder ein Unterstand befunden haben musste. Die weit ausladende Krone des Baums breitete sich unmittelbar neben Lauras Hand aus, und die saftgrünen Blätter verströmten einen unverwechselbaren Geruch. Im Vorbeigehen riss Laura – wie schon an den Tagen zuvor auch – eine der Früchte ab und biss hinein. Obwohl die Feige noch nicht ganz reif war, schmeckte sie bereits süßlich, und aus der Bruchstelle quoll milchiger Saft.
Die Leine in der einen Hand, die Feigenhälfte in der anderen, erreichte Laura bald darauf den Durchschlupf, den jemand hier in die Begrenzungsmauer gebrochen hatte. Gleich dahinter begann der felsige Abstieg zu der winzigen Bucht, die nur die Einheimischen kannten und wo man zu dieser frühen Morgenstunde selbst in den Sommermonaten kaum jemals einem Menschen begegnete.
Als Monroe nochmals heftig an der Leine zog, wäre Laura beinahe gestürzt.
„Hör auf damit und sitz jetzt“, befahl sie. Nach einem energischen Leinenruck setzte sich Monroe zwar, doch er schien eindeutig zum Sprung bereit und an nichts anderem mehr interessiert als an der Nähe des Wassers.
Laura hakte den Karabiner los. Noch ehe sie etwas sagen konnte, schoss Monroe voran und verschwand sofort zwischen den Felsen.
„Langsam“, schrie sie ihm hinterher. Kurz darauf jedoch lächelte sie und begann flink, aber dennoch vorsichtig, über die Steine abwärtszuklettern. Als gleich darauf ein lautes Platschen zu hören war, verstärkte sich Lauras Lächeln bei dem Gedanken, dass Monroe wohl den letzten Rest der Klippen mit einem großen Sprung ins Wasser überwunden hatte.
„¡Hostia! ¡Vete a la mierda!“, hörte sie plötzlich jemanden fluchen.
Laura hielt die Luft an, während sich ihr Herzschlag beschleunigte. Sie rief laut nach Monroe und versuchte, schneller weiterzukommen.
Deutlich drang das wütende Schimpfen einer männlichen Stimme zu ihr herauf, unterbrochen durch das Bellen des Hundes.
Der Mann musste sehr erbost sein, dachte sie, und gleich darauf wusste sie auch, warum.
Der letzte Felsbrocken gab den Blick auf den intimen Sandstrand der winzigen Bucht frei. Doch diesmal waren sie hier nicht allein.
Eine Strandtasche stand dort, zu der wohl auch das Badetuch gehörte, das Monroe wie eine Trophäe durch den Sand schleppte.
Auch im Meer war jemand, ein Mann, der gerade aus dem Wasser stieg. Er war sichtlich mehr als wütend, und Laura erschrak.
„¡Lo siento mucho!“, rief sie und sprang, ohne zu zögern, über den letzten Stein, der sie noch von dem Sandstück trennte, wobei sie sich das Schienbein anschlug. „Es tut mir furchtbar leid! Ich habe einfach nicht damit gerechnet, dass jemand hier ist. Noch niemals haben wir um diese Zeit einen Menschen getroffen. Bitte verzeihen Sie.“
Ohne auf den kurzen Schmerz im Bein zu achten, lief Laura hinter dem Hund her, der immer noch mit dem Badetuch herumrannte, das er jetzt kräftig zu schütteln begann. Dabei knurrte und bellte er abwechselnd.
„Gib das sofort her“, schrie Laura, „Monroe, hörst du. Gib mir das Tuch.“
Doch der dachte nicht daran. Er schien es für einen unglaublichen Spaß zu halten – lief die Klippen zurück, legte sich auf die Felsen und begrub die Beute unter seinem Körper, während er eines der Enden mit den Zähnen packte und kräftig daran zog, sodass der Stoff mit einem Riss nachgab…