Kleine Weihnachtsgeschichte aus Mallorca

Truthahn oder Tintenfisch?

„Was essen wir heute Abend?“ Meine Frage kam offenbar etwas plötzlich. Wir standen auf dem felsigen Plateau der Cala Petita, der kleinen Bucht vor Porto Cristo.Tief unter uns leuchtete das Wasser in den schönsten Blau- und Türkistönen. Steil ragten die rötlich braunen Felswände zum Himmel hinauf und das Macchiagestrüpp duftete nach wildem Rosmarin und Thymian.Die Petita, die Kleine, ist lang und schmal. Einer Flussmündung nicht unähnlich, windet sie sich aufs offene Meer hinaus.
Außer uns war kein Mensch zu sehen – wohl auch deshalb, weil die Petita nur zu Fuß erreicht werden kann, oder mit dem Schiff.
Im Sommer ist die Bucht ein beliebter Ausflugspunkt. Zahlreiche Glasbodenboote zwängen sich durch die enge Mündung, vollführen spektakulärste Manöver, um wieder aufs offene Meer hinaus zu gelangen – sehr zur Freude der unablässig fotografierenden Passagiere.
Heute aber war kein Boot unterwegs. Keine Menschenseele hatte sich hierher verirrt. Verwunderlich war das nicht, schließlich war Heiliger Abend.
Wir waren in die Petita gekommen, um unsere Caya ungestört schwimmen zu lassen.
Caya ist eine Golden-Retriever-Hündin. In Mallorca geboren und aufgewachsen, liebt sie nichts auf der Welt mehr als Schwimmen und Tauchen.
Gerade eben sprang sie mit einem Riesensatz von den Klippen in das kristallklare Wasser hinunter. Hoch spritzten die Wellen auf, um dann schäumend über dem Hund zusammenzuschlagen. Caya ging nur kurz unter, gleich darauf schwamm sie zielstrebig zum Strand.
Die Sonne stand schon tief am Himmel. Ihre sanften Strahlen malten lilafarbene Schatten in den weißen Sand und am östlichen Himmel konnte man bereits die bleiche Sichel des Mondes erkennen.
In großen Sätzen kam Caya den schmalen Weg heraufgesprungen und setzte sich erwartungsvoll vor uns nieder.
Automatisch nahm mein Mann ihr das Schwimmdummy ab und schleuderte es über den Klippenrand hinaus, weit in die Bucht hinein.
Sicher wie eine Gämse jagte die Hündin die Felsen hinunter, um dann, ohne zu zögern, die letzten Meter mit einem Hechtsprung zu überwinden. Das Dummy zwischen den Zähnen schwamm sie wieder zum Ufer. Ich konnte die Bewegung ihrer Tatzen unter dem Wasser verfolgen. Links, rechts, links, rechts; es sah aus, als würde sie laufen.
Das Meer war ruhig. Sanfte Wellen schwemmten Korallenstaub auf den schneeweißen Strand.
„Was soll ich heute kochen?“, fragte ich noch einmal.
Mein Mann gab einen grunzenden Laut von sich, erwischte das Dummy, das Caya freudig gebracht hatte, und warf es mit einer ausholenden Bewegung aufs Meer hinaus.
„Nicht so weit“, sagte ich automatisch. Mit einem lauten Platschen sprang die Hündin hinterdrein.
„Wir müssen noch einkaufen“.
„Das hat doch Zeit. Wann sperren sie zu?“
„Um acht“, sagte ich.
„Na also.“
„Wir haben nichts zu Hause. Was willst du essen, heute und die nächsten Tage?“
Ich musste die Stimme erhoben haben, denn mein Mann drehte sich zu mir um, was den Hund, der schon wieder hinter ihm saß, zu einem fordernden Bellen veranlasste.
Das Dummy flog ins Wasser und er murmelte: „Ist mir egal, was immer du machst, ist gut.“
„Truthahn“, überlegte ich, „gebraten, die Brust mit Gemüse und Soja-Sauce und übermorgen entweder …“
„Ich mag keinen Truthahn“, unterbrach er mich.
„Also, was sonst?“
„Du machst das schon. Hör sofort auf!“ Der zweite Teil hatte nicht mir gegolten, sondern Caya, die sich schüttelte und dabei ihr Herrchen tüchtig anspritzte.
Ein lautes Platschen und sie war wieder dort, wo sie am liebsten sein wollte – im Wasser.
Ich versuchte es noch einmal.
„Das ist ein ernstes Thema, wenn du nicht sagst, was du Weihnachten essen willst, entscheide ich alleine.“
„Ist mir recht.“
„Gut, dann Tintenfisch“, sagte ich –  wohl wissend, dass Tintenfisch nicht zu seinen bevorzugten Speisen gehörte. „Heute gegrillt, morgen Tintenfischsugo  und übermorgen, zum Frühstück, als Marmelade!“
Mit der Marmelade hatte ich wohl ein wenig übertrieben. Mein Mann, der mich zwar kurz ein wenig fassungslos gemustert hatte, war wieder voll mit dem Hund beschäftigt.
Platsch, machte es und Caya tauchte unter.
„Genug jetzt, es reicht – ich muss sie noch waschen. Nimm bitte das große Stück Holz mit, für den Kamin“, sagte ich.
Wir gingen zurück, über den ausgetretenen Pfad, um die Pinien herum, vorbei an dem noch immer duftenden Gebüsch.
In der Ferne konnte man bereits die ersten Häuser von Porto Cristo erkennen.
Ein alter Mallorquiner mit Flinte und Jagdhund kam uns entgegen.
„Bon día“, sagte er.
„Molts d´anys“, rief ich ihm zu. Frohe Weihnachten!
„Igualment!“
Auf dem Heimweg hielten wir beim Supermercado an: Wein, Käse, Serranoschinken, Brot – frische Muscheln, ein Stück Fleisch, Gambas, Aioli, und reife Orangen.
Es war Heiligabend. Wir würden sicher nicht hungern.
Das Weidenbündel aus dem Vorzimmer hatten wir zuvor mit einer Lichterkette geschmückt und in der Küche aufgestellt. Überall brannten Teelichter und das Feuer im Kamin loderte.
Aus dem Handy kam Weihnachtsmusik.
Caya, geduscht und in zwei Badetücher gehüllt, schlief vor dem Gasofen. Manchmal japste sie im Traum und kratzte mit den Pfoten über den Steinboden, als würde sie hinter etwas herjagen.
Gemütlich war es, wunderbar ruhig und sogar ein wenig romantisch.
Wir sahen uns an. Mein Mann nahm meine Hand und drückte sie. Nach all den Jahren waren wir immer noch zusammen.
Ich dachte an die Weihnachtsfeiern in Wien – prächtige Feste, mit weihnachtlich gekleideten Gästen und raffinierten Speisen, dachte an die große geschmückte Tanne – und wusste, dass ich um keinen Preis der Welt tauschen wollte.
Dabei war die Küche, in der wir an diesem Heiligen Abend saßen, ganz objektiv betrachtet, sogar ziemlich hässlich …
© Eva-Maria Farohi

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