Fincaträume

von Eva-Maria Farohi

Das goldene Licht der Sonne ließ ihr Gesicht erstrahlen. Hingebungsvoll bürstete sie die grauen Strähnen, eine nach der anderen. Dann streichelte sie zärtlich über seinen kahlen Schädel.
Der Esel stampfte mit dem Huf und bleckte die gelben Zähne.
„Ich weiß, dass du das nicht magst, aber es muss sein. Ruhig, mein Guter, gleich bekommst du deinen Apfel“, flüsterte sie beruhigend in sein Ohr.

Marika stand im Hof ihrer Finca. Die warmen Sonnenstrahlen tanzten auf ihren nackten Armen.
Sie beendete die Fellpflege mit einem zärtlichen Klaps, überreichte den versprochenen Apfel und widmete sich der Reinigung der Bürsten.
Rundherum hatten es sich die übrigen Bewohner gemütlich gemacht — vier Hunde ließen ihr Frauchen nicht aus den Augen, mehrere Katzen beäugten aus sicherer Position die nach Körnern suchenden Hühner.
Ein Kaninchen, eine Voliere mit Vögeln und eine weiße Ratte gehörten ebenfalls zu dieser Wohngemeinschaft.
Marika liebte Tiere über alles. Niemals konnte sie „nein“ sagen, wenn wieder einmal ein neues Zuhause für ein Problemkind gesucht wurde. So wie für Lunes, die Ratte. Ihr Schwanz war in der Türe eines Autowracks eingeklemmt worden,
Tierschützer hatten sie zu Juan gebracht.

Juan war nicht nur Marikas Freund, sondern auch ihr Vermieter, und — seit Kurzem erst — der Ehemann ihrer Freundin Lisa. Er war Tierarzt aus Leidenschaft.
Den Schwanz der Ratte hatte er allerdings nur noch amputieren können. Zu schwer waren die Verletzungen gewesen, die sie sich bei ihren Befreiungsversuchen selbst zugefügt hatte.
Und so war sie letztlich bei Marika gelandet.
Den Namen Lunes verdankte sie dem Tag ihrer Rettung: lunes — Montag.

Marika war eine quirlige Person, etwas mehr als mittelgroß, schlank gewachsen, mit einer stets wirren roten Lockenmähne und leicht schrägstehenden grünen Augen.
Sie war keine Schönheit im klassischen Sinn. Ihre Nase hatte einen kleinen Schwung nach oben und obwohl mit der hellen, feinporigen Haut der Rothaarigen gesegnet, zierten unzählige kleine Sommersprossen Nase und Wangen.
Auf ihr Äußeres legte sie wenig Wert. Meist lief sie in Schlabberpullis, kurzen Hosen und flachen Schuhen herum. Trotzdem zog sie immer wieder bewundernde Blicke auf sich.

Einem netten Flirt war sie durchaus nicht abgeneigt, wusste sie doch genau, dass sich dahinter nichts Dauerhaftes verbarg.
Eine kurze aber schöne Zeit und ein Adieu ohne Bedauern. Das war ihr mehr wert, als einer Illusion nachzulaufen.
Familie, eine glückliche Ehe — daran glaubte sie nicht.

Umso mehr freute es sie zu sehen, wie glücklich Juan und Lisa miteinander waren. „Ausnahmen bestätigen eben die Regel“, dachte sie bloß, und freute sich mit den beiden.
Überhaupt war sie eine Frohnatur.
Nichts und niemand konnte ihr die gute Laune verderben. Es sei denn, einem ihrer Freunde ging es schlecht, oder ein Tier benötigte Hilfe.
Nach einer freudlosen Kindheit und Jugend, über die sie nicht einmal mit ihren engsten Freunden sprach, hatte sie sich mit viel Fleiß in Mallorca ihre Existenz aufgebaut.
Als Animateurin war sie zusammen mit einigen Freunden für einen Sommer nach Mallorca gekommen. Ein Ferienjob für sieben Monate sollte es werden. Für die anderen wurde er das — für Marika nicht, sie blieb.
Der erste Winter war hart.

Bei einer Kollegin fand sie Unterkunft und teilte sich mit ihr die modrige Zweizimmer-Wohnung, die keine ausreichende Heizung hatte. Allzu oft ernährten sich die beiden ausschließlich von Broten und ausgetrockneten Mehlspeisen, die in der Bäckerei, in der ihre Quartiergeberin arbeitete, übriggeblieben waren.
Gemeinsam kümmerten sie sich um Nala — die Rottweiler-Pastor Mischlingshündin.
Das heißt, Marika kümmerte sich. Denn Sabine, Nalas Frauchen, war zwar meist guter Absicht, selten aber auch Willens, sich mit ihrem Hund zu beschäftigen.
So fristete denn Nala ein ziemlich freudloses Leben auf dem kaum drei Quadratmeter großen Balkon.
Bis Marika kam.

Ganz eng schlossen sich die beiden einander an. Keiner war mehr ohne den anderen anzutreffen. Nala folgte Marika auf Schritt und Tritt.
Sabine war das egal. Der Hund war ihr längst unwichtig geworden, letztendlich war sie froh, sich nicht mehr um ihn kümmern zu müssen.
Besonders, als die Hündin zunehmend mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen schien.
Marika hingegen bedeutete das Tier alles. All die Wärme, ihre Sehnsüchte und Wünsche, die sie tief im Herzen verborgen hielt, strömten ungehindert zu dem Tier.
Folglich war es für sie auch selbstverständlich, dass sie ihre letzten Ersparnisse zusammenkratzte, um mit Nala zum Tierarzt zu gehen.

Juan war ihr empfohlen worden. Als besonders verständnisvoll — auch im Hinblick auf die Modalitäten der Bezahlung.
So saß sie denn schon zum zweiten Mal mit Nala im Warteraum der Tierklinik.
„Sie hat Leishmaniose“, hörte sie Juan sagen, während er den Blutbefund betrachtete. Unwillkürlich drückte Marika den Hund noch fester an sich.
So kurz sie erst auf der Insel war, wusste sie doch, dass diese Diagnose einem Todesurteil gleichkam. Tränen stiegen hinter ihren Augen auf. Sie würgte sie hinunter.

Da spürte sie die Hand des Arztes auf ihrem Arm.

„Machen Sie sich keine Vorwürfe, sie ist noch in einem sehr frühen Stadium. Wir können ihr mit einer gezielten und konsequent einzuhaltenden Therapie relativ gut helfen“, sagte er.
Marika ließ den Kopf hängen. Immer noch umklammerte sie den Hals des Hundes.
„Sie gehört nicht mir, sondern einer Freundin, bei der ich wohne — ich bin noch nicht lang hier, wissen Sie. Ich habe derzeit keinen Job.“ Ihre Stimme versagte und sie ließ den Tränen ihren Lauf.
Juan sagte nichts. Ging zu seinem Schreibtisch. Begann zu schreiben.

„Was bin ich Ihnen schuldig? Ich meine, falls ich nicht genug Geld dabei habe. Man hat mir gesagt, ich dürfte es vielleicht auf zwei Mal zahlen, ich bin auf der Suche nach einer Arbeit. Vielleicht bekomme ich nächste Woche etwas in einer Rezeption. Als Aushilfe“, fügte sie hastig hinzu.

Er drehte sich zu ihr herum. Sah sie durchdringend an. Marika kam das Schweigen endlos vor.
Dann hörte sie seine ruhige Stimme.
„Vergessen Sie die Bezahlung, das können wir irgendwann später regeln. Ich habe Ihnen hier den genauen Plan für die Tabletteneinnahme aufgeschrieben. Die Medikamente gebe ich Ihnen mit. In einer Woche sehen wir uns wieder. Jetzt gehen Sie, und machen einen schönen Spaziergang mit Ihrem Hund. Dann sieht die Welt gleich viel besser aus. Wenn Sie möchten, können Sie mir auch Ihre Telefonnummer hier lassen, vielleicht höre ich etwas, bezüglich einer Arbeit.“

Er hatte ihr nicht nur ihren ersten Job in einem Hotel verschafft und den Hund gratis behandelt. Auch eine trockene Wohnung besorgte er, in die sie mit Nala zusammen einziehen konnte.
Im Laufe der Jahre war er ihr bester Freund geworden.
Einige Zeit später, als sie von ihrer Tätigkeit als Schneiderin bereits leben konnte, hatte sie von ihm die kleine Finca gemietet.
Hier lebte sie jetzt zurückgezogen, inmitten sanfter Hügel, mit einem wunderschönen Ausblick auf das Meer.
Marika blieb auf ihrer Terrasse stehen und blickte über die Landschaft. Sie war glücklich hier, samt ihrer beträchtlich angewachsenen Tierschar.

Unwillkürlich dachte sie dabei an Lisa und Juan — wie schön war es, die beiden gleich nebenan zu wissen, ihr Glück aus nächster Nähe beobachten zu können.
Dabei hatten sie sich vorerst mit aller Macht gegen diese Liebe gewehrt, sich nur sehr zögerlich ihre aufkeimenden Gefühle eingestanden.
Bei der Erinnerung daran lächelte Marika.

Inzwischen lebten sie zusammen in dem alten Herrenhaus, das zum Besitz von Juans Familie gehörte. Lisa arbeitete als gleichberechtigte Partnerin in der Gestoria1 von Jaime, einem gemeinsamen Freund, und hervorragenden Juristen, und Juan war mit Leib und Seele Tierarzt.

Marika war weit davon entfernt, jemals so etwas wie Neid zu empfinden. Im Gegenteil: Sie war voller Freude, wenn sie an diesem Glück teilhaben konnte. So saß sie oft am Abend bei den beiden und freute sich über jeden liebevollen Blick, den sie miteinander tauschten.
Nur manchmal, wenn sie abends allein in ihrem Bett lag, dachte sie darüber nach, wie schön es wohl sein müsste, einmal im Leben von einem Menschen so geliebt zu werden, jemandem dermaßen wichtig zu sein.
Sofort jedoch verbot sie sich diese Gedanken, dachte an ihre Tiere und schlief zumeist mit einem zufriedenen Lächeln ein.

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